• Hessenwaldschule © wulf architekten
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  • Hessenwaldschule © Brigida Gonzalez
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Baukultur im Nahkampf

wulf architekten gmbh l Stuttgart

Prof. Tobias Wulf

Tobias Wulf (*1956) ist Mitglied des Freiburger Gestaltungsbeirats und führt zusammen mit fünf weiteren Partnern das Büro wulf architekten, Stuttgart, das er 1987 gegründet hat.
In seinem Werkbericht stellt er heraus, dass Baukultur etwas Abstraktes ist, das jedoch an der Qualität des Konkreten gemessen werden muss. Ausgehend von dieser Annäherung blickt er hinter das gebaute Resultat und zeigt auf, dass das sichtbare Ergebnis vom Prozess, der das Entstehen eines Projektes begleitet, entscheidend beeinflusst wird.
Der alltägliche Nahkampf in diesem Prozess ist ein Indikator für missverstandene Planungskultur, die zuweilen im Widerspruch zu den offiziell propagierten Zielen der Baukultur steht.

Das Leben ist eine Baustelle… oder etwa ein Schlachtfeld?

Tobias Wulf von wulf architekten über das Kämpfen um architektonische Qualität

von Gisela Graf, Freiburg | gisela graf communications

Gleich bei der ersten Veranstaltung des Architekturforums Freiburg im Jahr 2017 brachte sich das Publikum in Deckung: „Baukultur im Nahkampf“ lautete der Titel des Vortrags von Tobias Wulf aus Stuttgart. Doch trotz dieser martialischen Wortwahl zeigte sich das Mitglied des Freiburger Gestaltungsbeirats nahbar und offen – aber äußerst kämpferisch, wenn es um das Durchsetzen von architektonischer Qualität geht. „Wir haben wohl einen Hang zu Hardcore-Projekten“, kommentiert Wulf die aktuellen Projekte seines Büros, für die es ganz offensichtlich einen langen Atem und viel Motivation braucht: Kasernen, Gefängnisse und Botschaften sind allein schon wegen der nötigen Sicherheitsmaßnahmen heikel und schwierig, Messen wegen ihrer Größe und die vielen Schulen, die das Büro gebaut hat, können ebenfalls zu komplexen Bauaufgaben werden – vor allem wenn man unübersichtlichen Verwaltungsstrukturen gegenübersteht.

Ein wahrliches „Hardcore-Projekt“ ist die heutige Generaloberst-Beck-Kaserne in Sonthofen im Allgäu allein schon wegen ihrem baulichen Erbe: Die sogenannte „Ordensburg“ ist eine von zwölf ehemaligen NS-Einrichtungen, in denen 12-17 jährige Eliteschüler zu künftigen Kadern des Dritten Reiches erzogen wurden. Vor einer spektakulären Gebirgskulisse baute der junge, ehrgeizige Nazi-Architekt Hermann Giesler eine gigantische Anlage nach dem Vorbild einer Burg, jedoch in Materialität und Handwerkskunst durchaus von respektabler Qualität. Sie blieb unvollendet. Seit 1956 wird die Anlage als Bundeswehr-Kaserne genutzt und seit 2008 von wulf architekten erweitert, doch bisher wurde kaum etwas realisiert. Nach acht Jahren Planungszeit wussten die Bauherren – bestehend aus Bundesministerium für Verteidigung, unterstützt von vier weiteren, nicht miteinander kommunizierenden Instanzen und eigens eingerichteten Planungsstäben – welche Räume sie wirklich brauchen. Und wie geht man mit einem Bauherren um, der weder Sinn für Architektur, noch ein Gefühl für den Umgang mit Bestand und noch viel weniger ein Bewusstsein für den Umgang mit dem heiklen baulichen Erbe der Nazizeit hat? Mit welcher Haltung geht man an so etwas heran? Das Büro wählte eine „Architektur, die selbstverständlich dasteht und gar nicht die Frage aufkommen lässt, wie das zu kommentieren ist“ und löste dies über die Materialwahl, hauptsächlich Glas und Sichtbeton. Für jede architektonische Entscheidung musste dabei die Wirtschaftstauglichkeit für die nächsten 50 Jahre nachgewiesen werden. Das sei eine Chance, Billigarchitektur zu vermeiden.

Zwar hat das Büro kaum private Einfamilienhäuser realisiert, dafür umso mehr Projekte für öffentliche Bauherren. Darunter fallen auch Schulen, wie das im August 2017 für die Sanierung mit dem Hugo-Häring-Preis ausgezeichnete Stuttgarter Schulzentrum Nord für etwa 3.600 Schüler oder die Hessenwaldschule in Weiterstadt, die dem fortschrittlichen Lernhauskonzept folgt und viele Mittel dafür bereitgestellt hat. „Es lohnt sich, Grips und Geld in Bildung zu investieren. Wenn Schüler nicht in anständigen Räumen lernen können, in denen sie sich zu Hause fühlen, wird sich das in der Gesellschaft niederschlagen“, betonte Wulf.

Tobias Wulf, wulf architekten l Stuttgart

Wofür steht der Freiburger Gestaltungsbeirat? Welche Werte und Haltungen vertritt er? In lockerer Folge stellen die Mitglieder sich und ihre Arbeit vor. Mit Tobias Wulf ist diese kleine Reihe abgeschlossen.

Tobias Wulf stammt aus Frankfurt, hat in Stuttgart Architektur studiert und in Büros wie Auer + Weber und Gottfried Böhm gearbeitet. 1987 gründete er sein eigenes Büro und erhielt einen Lehrauftrag an der Uni, 1991 eine Professur an der HFT Stuttgart. Heute arbeitet das Büro wulf architekten mit 5 Partnern und rund 100 Mitarbeitern an Projekten im In- und Ausland. Seine Überzeugung: „Solange bei den Bauverwaltungen eine Mentalität herrscht, dass man die in Brüssel gemachten Gesetze so auslegt, dass man Architekten das Leben schwer macht, sind wir weit weg von Baukultur. Denn Baukultur ist Prozesskultur und letztendlich nur an dem messbar, was am Schluss dabei rauskommt – und dafür braucht man eben immer den Nahkampf".

wulf architekten gmbh l Stuttgart
www.wulfarchitekten.com