• © Sandra Henningsson | Gehl Architects

Liveable cities for the 21st century

Gehl | Kopenhagen

Jan Gehl

Stadtplanung war in der Vergangenheit weltweit auf Modernität und motorisierten Verkehr ausgerichtet. In den letzten 15 - 20 Jahren hat sich jedoch ein Wandel vollzogen: Städte sollen lebenswert und gleichzeitig umweltfreundlich sein. Menschenfreundliche Stadtplanung ist gefragt.

Jan Gehl, 1936 geborener Architekt und Stadtplaner, hat Städte wie Kopenhagen, Melbourne, Sydney, London, New York und Moskau beraten und konnte manchen ein neues Gesicht geben. Er wurde für sein Werk vielfach ausgezeichnet und hat mehrere Bücher zu diesem Thema veröffentlicht.

Der Vortrag findet in englischer Sprache statt.

Städte für Menschen

Der Stadtplaner und Architekt Jan Gehl im Theater Freiburg über lebenswerte Städte und wie man dafür sorgt, dass sie es werden.

von Gisela Graf, Freiburg | gisela graf communications

„Der beste Stadtspielplatz nach Venedig“ sei Freiburg, behauptete Jan Gehl und bekannte damit gleich zu Anfang seines Vortrags seine Liebe zu der nicht nur wegen der Bächle beliebten Stadt. „Denn nasse Kinder sind glückliche Kinder“, fuhr er fort. Überhaupt seien Kinder ein sicheres Kriterium, um die Lebensqualität einer Stadt zu messen. „Wenn man dafür sorgt, dass sich die 8- und die 80 Jährigen wohl und sicher fühlen, muss man sich um den Rest dazwischen nicht mehr kümmern“.

Auch Gehls Heimatstadt Kopenhagen gilt als kindgerecht und somit lebenswert. In der Nachkriegszeit war es aber wie viele wachsende Städte vor allem eines: autogerecht. Auf seine Initiative begann man schon 1962 mit der Einführung autofreier Zonen – gegen den massiven Widerstand des Einzelhandels, der einen Umsatzeinbruch befürchtete. Doch das Gegenteil war der Fall, die Geschäfte florierten. Heute gilt Kopenhagen als eine der lebenswertesten Städte der Welt. Inzwischen zieht es die Menschen generell nicht nur wegen des Konsums in die Stadt. Sie kommen wegen kulturellen Aktivitäten, um sich zu erholen, zu vergnügen oder andere zu treffen. Sehen und gesehen werden wie auf der typischen italienischen Piazza sei eine Form der Kommunikation, die der Mensch auch in Zeiten von Facebook brauche, so Gehl. So seien auch die Kopenhagener ganz schnell zu Italienern geworden.

Gehl steht auch hinter den städtebaulichen Veränderungen in Moskau, Manhattan oder Melbourne. Er hat London, Sydney, Zürich und Stockholm beraten. In seinem charmanten, witzigen und zugleich erhellenden Vortrag im Winterer-Foyer, der trotz des heißen Sommertags gut besucht war, sprach er darüber, was lebenswerte Städte ausmacht und wie die Stadtplanung diese gestalten kann – denn Autos und Verkehr seien keineswegs gottgegeben.

Für die Menschen zu planen sei in jedem Fall eine gute Strategie. So einfach die Botschaft klingt: Herauszufinden, wo sich Menschen gerne aufhalten, wo sie sich wohlfühlen und warum, war die Lebensaufgabe des heute 78-Jährigen. Die Unwirtlichkeit der Städte führt er darauf zurück, dass die Stadtplanung der Moderne vor allem Verkehrsplanung war und die Architektur in zu großen Maßstäben dachte: überdimensionierte Bauten wurden aus der Vogelperspektive geplant anstatt aus der Sicht des Menschen, der sich auf der Straße zu Fuß mit fünf Stundenkilometern bewegt. So sei der menschliche Maßstab verloren gegangen, der Bau von noch mehr Straßen zog immer mehr Verkehr an. Nach etwa 50 Jahren kam es zu einem Paradigmenwechsel: nun wünschte man sich die Städte lebenswert, nachhaltig und gesund. Menschen sollten sich gerne in der Stadt aufhalten, das öffentliche Transportsystem sollte verbessert und die Menschen zu mehr Bewegung zu Fuß oder mit dem Fahrrad animiert werden.

Wie und vor allem dass es funktioniert, den Autoverkehr zu reduzieren, indem man in den Innenstädten einfach die Straßen und Parkplätze entfernt, zeigte Gehl an einigen eindrücklichen internationalen Beispielen: Ein Erdbeben in San Francisco zerstörte 1998 eine der Hauptverkehrsadern, den Embarcadero Freeway, sodass er geschlossen werden musste. Entgegen aller Erwartungen brach kein Chaos in der Stadt aus. Heute ist der Freeway ein Boulevard mit Bäumen und viel Platz für Fußgänger und Radfahrer. In Seoul hat man einfach anstelle einer breiten Straße ein altes Flussbett renaturiert, ohne ansonsten am Verkehr etwas zu ändern – und es hat geklappt. London hat eine Staugebühr eingeführt, sogar der Broadway am New Yorker Times Square konnte für Fußgänger umgewidmet werden, mit vielen Sitzgelegenheiten und ohne Autoverkehr – allerdings hatte man das Projekt aus Furcht vor Protest zunächst als „Experiment“ deklariert, heute will es niemand mehr missen. Auch Moskau hat es geschafft, in zwei Jahren den Autoverkehr aus der Hauptverkehrsader Twerskaya zu verbannen.

Gehls Schlussfolgerung: Der Verkehr ist keineswegs gottgegeben, und wir können beeinflussen, was in der Stadt passiert. „Erst formen wir die Stadt, dann formt sie uns“, so sein Credo. Wenn ein Kind in der Stadt zu Fuß zur Schule gehen kann, ohne einmal die Straße überqueren zu müssen, dann sei viel erreicht. Sein Urteil über Freiburg: „Sie haben es bis jetzt sehr gut gemacht, ich erwarte Großes von Euch!“

Jan Gehl, Gehl Architects, Kopenhagen

Als Jan Gehl 1960 seinen Abschluss als Architekt machte, dachte er ganz im Sinn der Moderne. Bis er eine Psychologin, seine spätere Frau, kennenlernte, die sein Denken veränderte. Sie animierte ihn, sich für die Menschen zu interessieren und nicht für die Form. Danach war er 40 Jahre lang damit beschäftigt, „das Gelernte wieder zu vergessen“. Gemeinsam erforschte und bereiste das Paar europäische Städte, um herauszufinden, wo sich Menschen wohlfühlen und wie sie leben wollen. Zuerst belächelt, ist Jan Gehl heute einer der einflussreichsten Stadtplaner der Welt. Er steht hinter den städtebaulichen Veränderungen in Städten wie Moskau, Manhattan oder Kopenhagen. Sein Buch „Städte für Menschen“ aus den 70er Jahren wurde im Lauf der Zeit in 26 Sprachen übersetzt, darunter auch in Mongolisch (auf Deutsch: Jovis Verlag Berlin, 2015). Freiburg kennt Jan Gehl schon seit vielen Jahren. 2004 hat er am Wettbewerb der Gestaltung des Platzes der Alten Synagoge teilgenommen und mit seinem Entwurf den 3. Platz belegt.

Der Vortrag fand in Zusammenarbeit mit dem Stadtplanungsamt der Stadt Freiburg, dem Theater Freiburg und dem Bund Deutscher Architekten statt.

Gehl | Kopenhagen
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