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Funktion : Emotion - Freiräume + Atmosphäre

sinai Gesellschaft von Landschaftsarchitekten mbH l Berlin

A. W. Faust

Welche Rolle spielt die Atmosphäre als planerischer Parameter zwischen Raum und Programm moderner Freiräume?
Ein Vortrag zu Konflikten und Wechselwirkungen zwischen Funktion und emotionaler Wirksamkeit von Orten.
A.W. Faust ist einer von drei Partnern des Berliner Büros sinai Landschaftsarchitekten, welches 2006 gegründet wurde. Zusammen mit K. Schroll, B. Schwarz und derzeit 30 Mitarbeitern ist er auf allen Handlungsfeldern zeitgenössischer Landschaftsarchitektur tätig.

Emotion versus Funktion? Emotion als Funktion!

A.W. Faust vom Berliner Landschaftsarchitekturbüro sinai über Atmosphäre im Freiraum

von Gisela Graf, Freiburg | gisela graf communications

Was macht die Atmosphäre eines Ortes aus? Woran lässt es sich festmachen, wenn wir sagen, ein Ort habe eine geheimnisvolle Aura, eine festliche Stimmung, eine kontemplative Atmosphäre, eine heitere Ausstrahlung oder ein besonderes Flair? Ist es die leichte Bewegung der Blätter in den Bäumen, das Flirren der Luft, der würzige Duft an einem lauen Sommerabend? Wenn Emotion so schwer zu greifen ist, inwieweit lässt sich dann zum Beispiel die Atmosphäre eines Platzes in der Stadt planen? Zudem haben urbane Räume eine Funktion zu erfüllen, und oft sind Gestalter damit konfrontiert, dass sie „noch Atmosphäre dorthin zaubern sollen, wo der Verkehr noch etwas Raum übrig lässt“ – so A.W Faust vom Berliner Büro sinai. Sind Emotion und Funktion also ein Widerspruch?

Im Lauf ihrer Tätigkeit wurde den Landschaftsarchitekten von sinai klar, dass Atmosphäre offensiver als Funktion begriffen werden muss. Die Emotion bereits im Entwurf zu vermitteln, sei jedoch schwer: das Rascheln der Blätter im Wind lässt sich schlecht visualisieren. Auch sei es nicht immer angebracht, um jeden Preis eine emotionale Wirkung erzeugen zu wollen, meinte Faust. So hat etwa eine Tankstelle, der Inbegriff eines funktionalen Ortes, von ganz alleine eine gewisse Aura von Aufbruch und unterwegs sein, ähnlich wie Häfen, Flughäfen oder Bahnhöfe – das sei viel ehrlicher als etwa der Versuch, die Piazzetta eines Einkaufszentrums emotional wirken zu lassen.

Atmosphäre ist individuell. Für viele Menschen bedeutet sie etwas Altes: das Moos in den Fugen, die bröckelnde Mauer, die Risse im Pflaster oder der uralte Baum. In Aschersleben, wo sinai einige Projekte umgesetzt hat, hat das Büro einen ehemaligen Friedhof in einen Stadtpark umgewandelt. Damit die großen 200 Jahre alten Eschen ihre volle Wirkung entfalten konnten, wurden bewusst, wenn auch bedauernd andere Bäume gefällt.

Gar nicht der klassischen Vorstellung von einem romantischen Ort entspricht der erst kürzlich eröffnete Hafenpark im Frankfurter Osten, der immer mit Skyline und EZB im Hintergrund in den Medien erscheint. Dieser „Volkspark 2.0“ basiert auf einer Online-Umfrage, an der vor allem das internetaffinere junge Publikum teilnahm: Der Bedarf an Skaten und Sport war am größten. Der „Concrete Jungle“ wurde als Teil des Parks konzipiert und ist jetzt schon eine Attraktion nicht nur für die jungen Sportler: auch Spaziergänger schauen gern den Skatern zu. So definiert sich hier die Atmosphäre über die Aktionen, die dort stattfinden – ein Selbstläufer, der sich nur bedingt beeinflussen lässt.

Am anspruchsvollsten ist wohl der umsichtige Umgang mit der emotionalen Wirkung bei Denkmälern und Gedenkstätten. Die Freiraumplaner von sinai können einige Beispiele vorweisen, wie sie die Gratwanderung zwischen Emotion und Information meistern. Begonnen hatte es mit einem Schnellschuss-Projekt an der Bornholmer Straße in Berlin. Im Jahr 2008 kündigte sich internationaler Ministerbesuch an: man wollte die Gedenkstätte an der Stelle besuchen, an der sich die Berliner Mauer am 9. November 1989 geöffnet hatte. Doch war dieser Ort vergessen und sich selbst überlassen worden. Hektisch wurde ein Schild mit der Visualisierung eines Wettbewerbs angebracht – der dann auch durchgeführt wurde. Sinai überzeugte mit Metallstreifen im Pflaster entlang des Mauerrelikts, die die Chronik dieses Tages anhand der einprägsamsten Momente nacherzählen. Die Mauergedenkstätte an der Bernauer Straße wiederum ist wie ein offenes Museum im Park. Über eineinhalb Kilometer erinnern senkrechte Stäbe aus Cortenstahl an den Verlauf der Mauer entlang eines Grünstreifens, der den ehemaligen Todesstreifen abbildet. Man kann durch die Stäbe hindurchgehen und sieht doch die Trennung, die für viele so schicksalhaft war. Trotzdem löst dieser Ort keine negativen Gefühle aus und deutet auch die Überwindung der Grenze an.

An andere Grenzen geriet sinai bei der Außengestaltung der Gedenkstätte Bergen-Belsen. Die Planer erkannten, dass angesichts der Monstrosität des Ortes kein Ausdruck mehr möglich ist. Dieser Ort funktioniere nicht ohne das Wissen über seine Geschichte, meinte Faust. Deshalb müssen Besucher zuerst das Dokumentationszentrum über einen „steinernen Weg“ betreten, bevor sie sich in das Gelände begeben. Dort erwartet sie ein Korridor, der auf einen Kilometer Länge in den Baumbestand aus Birken und Kiefern gerodet wurde, der in der Nachkriegszeit gewachsen war. Auch die Lagerstrukturen werden in Form von Schneisen abgebildet.

Unabhängig von der Funktion eines Freiraums müsse dessen Atmosphäre ganz bewusst als Planungsparameter eingesetzt werden, überzeugte A.W. Faust seine Zuhörer. Denn kein Ort sei ohne Wirkung, ob gewollt oder unbeabsichtigt, ob gestaltet oder gewachsen, ob ambitioniert oder nicht. Das gilt für einen Ort des Gedenkens genauso wie für den letzten grünen Flecken in der Stadt oder auch nur einen Bolzplatz. „Wir müssen die Stadt als Lebensraum begreifen, für die Eidechse ebenso wie für den Menschen und jeden Quadratmeter für uns beanspruchen, als Landschaftsarchitekt und als Stadtbewohner“, schloss Faust seinen Werkbericht.

sinai Landschaftsarchitekten l Berlin

A.W. Faust ist einer von drei Partnern des Berliner Büros sinai Landschaftsarchitekten, das 2006 gegründet wurde. Zusammen mit Klaus Schroll, Bernhard Schwarz und derzeit 30 Mitarbeitern ist er auf allen Handlungsfeldern zeitgenössischer Landschaftsarchitektur tätig. Im Leitbild des Büros heißt es: „… wenn wir über die Funktionen unserer Räume sprechen, meinen wir auch ihre emotionale Wirksamkeit oder Atmosphäre. In der hocheffizienten und belastenden Lebenssituation heutiger Stadtbewohner stellt der Freiraum als gefühltes Areal nicht allein eine kulturelle Errungenschaft dar, sondern wird als Ausgleichsraum zur zivilisatorischen Lebensnotwendigkeit.“

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