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Architektur und Revolution

18.30 Uhr | Fort von allen Sonnen (2013)
Dokumentarfilm von Isa Willinger

20.00 Uhr | Performance
Donatas Grudovich

Anschliessend | Talk mit Isa Willinger und Donatas Grudovich
(Russisch mit Übersetzung ins Deutsche / Deutsch)

Im Rahmen der Russischen Kulturtage Freiburg 2017 beteiligt sich das Architekturforum Freiburg mit dem Dokumentarfilm „Fort von allen Sonnen“ von Isa Willinger. Dieser erkundet die konstruktivistische Architektur im Russland der 1920er Jahre und trägt dazu bei, die Geschichte dieser antagonistischen Baukunst wiederzubeleben – „einer Architektur, die selbst noch in ihren dunkelsten und nihilistischsten Bereichen eine geradezu prophetische Kraft innehatte und von einer großen Lebendigkeit gekennzeichnet war“, wie die Jury des International Documentary Film Festival on Art and Architecture in Rom begründete.

Eröffnet wird der Abend durch den durch die Galerie für Gegenwartskunst geladenen Künstler Donatas Grudovich mit einer Performance. Grudovich bewohnte zur Zeit der Filmaufzeichnungen, eines der im Film gezeigten Gebäude des Architekten El Lissitzky.

In der anschließenden öffentlichen Diskussion mit der Regisseurin des Films Isa Willinger und dem Performer Donatas Grudovich, gilt es die damaligen Kontroversen auf heutige Fragestellungen der Architektur zu übertragen.

Kooperation | Galerie für Gegenwartskunst, E-Werk Freiburg | Zwetajewa-Zentrum für russische Kultur an der Universität Freiburg e. V.

Gefördert von | FSB | Kulturstiftung des Bundes

Zwischen den Ruinen der russischen Avantgarde

Der Dokumentarfilm Fort von allen Sonnen von Isa Willinger ist eine Zeitreise ins revolutionäre Russland – und wieder zurück ins heutige Moskau.

von Gisela Graf, Freiburg | gisela graf communications

Im Herbst 2017 fanden in Freiburg anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Oktoberrevolution die Russischen Kulturtage statt. Das Architekturforum Freiburg beteiligte sich mit dem Dokumentarfilm „Fort von allen Sonnen“ von Isa Willinger, der als Begleitveranstaltung zur Ausstellung „The Weight of History – Zeitgenössische Kunst aus Russland 100 Jahre nach der Oktoberrevolution“ in der Galerie für Gegenwartskunst im E-Werk gezeigt wurde. Der Künstler Donatas Grudovich, einer der Akteure im Film, war aus Moskau angereist. Er führte im Anschluss eine Performance vor und nahm an der Diskussion mit der Regisseurin Isa Willinger teil.

An diesem Abend drehte sich alles rund um die Architektur der 1920er Jahre in Moskau. In dieser Zeit herrschte eine schier unglaubliche Aufbruchstimmung, auch unter Künstlern und Architekten, die nach Stalins Machtübernahme 1927 ein jähes Ende fand. In dieser kurzen Phase des Konstruktivismus entwarfen und bauten die Architekten visionäre Gebäude nach den revolutionären Ideen für die kollektive Gesellschaft: es entstanden neue Bautypen wie Arbeiterclubs, Kulturpaläste oder gemeinschaftliche Studenten- und Arbeiterwohnungen, die sogenannten Kommunehäuser. Heute tut sich Moskau schwer mit den architektonischen Zeugen dieser euphorischen Anfangszeit der Sowjetunion. Viele davon verfallen, werden oder sind bereits zerstört.

Isa Willingers Film von 2013 folgt drei Moskauern, die mit dem Erbe dieser Bauten ringen. Sie kämpfen gegen den Verfall, die Abrissbirne und Korruption. Die Pensionärin Elena ringt um den Erhalt ihres Wohnhauses und einer Druckerei nebenan. Um dieses einzige erhaltene Gebäude von El Lissitzky vor den Spekulanten zu retten, leistet sie unermüdliche Lobbyarbeit, spricht mit Politikern und organisiert Demonstrationen. Der Architekt Vsevolod ist begeistert von dem studentischen Kommunenhaus des Textilinstituts von Ivan Nikolaev (1929) und möchte das Architekturdenkmal erhalten – und doch muss er es umbauen. Der Künstler Donatas will mit seinen Freunden eine Künstlerkommune in Extremform aufbauen und inszeniert sich wie ein despotischer Sektenführer. Er lebt im Narkomfin, dem berühmten kommunalen Wohnhaus von M. Y. Ginzburg und I. F. Milinis (1928-1930). Manifeste von Architekten wie Rodchenko, El Lissitzky und Vesnin sowie Aufnahmen des frühen sowjetischen Films, unter anderem von Dziga Vertov, werden zwischen die Gespräche eingespielt und rufen die Vision der Moderne wach.

Konstruktivismus kommt mir vor wie eine Zeit, die moderner ist als die unsere.

(Isa Willinger über ihre Motivation, diesen Film zu drehen)

Donatas Grudovichs anschließende Performance nahm Elemente aus dem Film auf und reaktivierte so diesen anarchistischen, visionären Geist von damals, den „Fort von allen Sonnen“ transportiert. Die Regisseurin und der Aktivist diskutierten anschließend über die damaligen Kontroversen, Ideen und Hoffnungen. Welche Bedeutung haben diese für heutige Fragestellungen der Architektur? Was ist von diesen Utopien noch übrig, was davon lebt heute in uns weiter? Wie im Film entspann sich ein Dialog zwischen Gegenwart und Vergangenheit.

„Fort von allen Sonnen“ (Isa Willinger, 2013)

Isa Willinger ist Dokumentarfilm-Regisseurin und lebt in München. Ihre Themenschwerpunkte sind eigentlich Gender, soziale Umbrüche, Menschenrechte und Filmtheorie. Als sie sich 2010 in Moskau aufhielt, war sie fasziniert von der Ausstrahlung der konstruktivistischen Bauten. Der Titel des mehrfach ausgezeichneten Films „Fort von allen Sonnen“ zitiert aus Nietzsches berühmter Rede zum „Tod Gottes“:

(…) Wohin bewegen wir uns? // Fort von allen Sonnen? // Stürzen wir nicht fortwährend? // Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? // Gibt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht durch ein unendliches Nichts? // Haucht uns nicht der leere Raum an? // Ist es nicht kälter geworden? //
Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? (…)

Bei den Gebäuden im Film handelt es sich um drei bedeutende konstruktivistische Baudenkmäler in Moskau: Kommunales Wohnhaus "Narkomfin" von M. Y. Ginzburg und I. F. Milinis (1928-1930) - Druckerei "Ogoniok" und Wohnhaus "Zhurgaz" von El Lissitzky, M. O. Barsch und G. A. Zunblat (1930-1935) - Studentisches Kommunenhaus des Textilinstituts von Ivan Nikolaev (1929). Die wenigen noch stehenden konstruktivistischen Bauten in Moskau sind Vertreter „einer Architektur, die selbst noch in ihren dunkelsten und nihilistischsten Bereichen eine geradezu prophetische Kraft innehatte und von einer großen Lebendigkeit gekennzeichnet war“. So begründete die Jury des International Documentary Film Festival on Art and Architecture in Rom, warum sie ihm 2014 den „Best documentary“ Preis verlieh.

Fort von allen Sonnen (2013) Dokumentarfilm von Isa Willinger
www.zwetajewa-zentrum.de