• © Andreas Böhringer
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Mailand

Mehrtagesexkursion

Mailand ist mit 1,3 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt Italiens. Sie ist heute führende Kultur-, Medien – und Modemetropole des Landes und bekannt für Ikonen aus Architektur und Design, die im 20. Jahrhundert die urbane Gestalt der Stadt maßgeblich geprägt haben.
Heute macht Mailand wieder mit einer zukunftsweisenden und nachhaltigen Stadtentwicklungspolitik von sich reden, wofür das neue innerstädtische Sanierungs- und Entwicklungsgebiet MILANO PORTA NUOVA nur ein Beispiel ist.
Neue Museen von Rem Koolhaas und David Chipperfield sind hervorragende Demonstrationen für das Wiederverwerten bestehender Strukturen.

Aktuell ist das Image der Stadt unweigerlich mit der EXPO verknüpft, die sich mit dem Motto „Feeding the planet, Energy for life“ den Herausforderungen der Ernährung der Welt widmet.

BUONGIORNO MILANO!

Kein Schlaf in Mailand

Bei der Exkursion nach Mailand (2.-4.10.2015) standen Stadtentwicklung, aktuelle Projekte und die Expo 2015 auf dem Programm

von Gisela Graf, Freiburg | gisela graf communications

„Milano non si ferma mai“: Mailand steht nie still. Die Stadt, die sich ständig neu erfindet, ist nicht nur eine pulsierende Finanz-, Dienstleistungs- und Medienmetropole, sondern auch die Hauptstadt des guten Geschmacks: die großen Häuser der Kreativbranche sind hier angesiedelt, hier kommt alle Welt zu den internationalen Mode- und Designmessen. Dazu kam 2015 die Expo. Grund genug, die Stadt in der Poebene, nur fünf Autostunden von Freiburg entfernt, genauer anzuschauen. So machten sich gut dreißig Teilnehmer mit dem Architekturforum Freiburg e.V. im roten Avanti-Bus auf den Weg nach Süden.

Mailand hat sich viel vorgenommen und sich einen Stadtentwicklungsplan mit drei Maximen verordnet: Für die „Stadt der schnellen Verbindungen“ wird gerade das öffentliche Verkehrsnetz intensiv ausgebaut. Die „Stadt der lokalen Identitäten“ wurde in 99 „Gemeinden“ eingeteilt, deren lokale Aktivitäten und Projekte gefördert werden. Und schließlich soll Mailand die „Stadt der Freiräume“ werden. Hierfür gibt es einen – in Italien bisher einmaligen – Grünplan: öffentliche, gut erreichbare Grünanlagen und viele Fahrradwege.

Erster Programmpunkt waren drei städtische Transformationen im großen Maßstab, an denen man die tiefgreifenden Veränderungen gut beobachten konnte. Der Bezirk Portello auf dem ehemaligen Industriegelände von Alfa Romeo und Lancia wurde zu einer weitläufigen Wohn-, Geschäfts- und Parkanlage umgewandelt, woran sich bekannte Büros wie Cino Zucchi, Gino Valle, Topotek1, Charles Jencks und Andreas Kipar beteiligten. Auch auf dem City Life District, dem zweiten Programmpunkt, haben bekannte Architekten ihre Namen hinterlassen, so etwa Zaha Hadid, Daniel Libeskind sowie Arata Isozaki mit Wohn- und Geschäftstürmen und Residenzen. Dazu entsteht hier auf dem ehemaligen Messegelände der drittgrößte Park Mailands, gestaltet von Gustafson Porter. Der dritte Komplex schließlich ist Porta Nuova mit Unicredit Tower und -Pavilion, Diamontene e Diamantini und dem viel beachteten Hochhaus Bosco Verticale von Stefano Boeri, der das Grün in die Senkrechte verlagert: das hat nicht nur einen ästhetischen, sondern auch einen ökologischen Effekt.

Trotz der schillernden Namen und der beachtlichen ökologischen Konzepte inklusive Auszeichnungen (darunter der renommierte LEED Preis), blieb unter den Besuchern eine gewisse Skepsis zurück. Diese Projekte verbindet vor allem eines: sie sind Spekulationsobjekte – mit Quadratmeterpreisen bis zu 20.000 Euro –, von denen sich die Stadt Mailand eine hohe Wirtschaftskraft verspricht. Doch es fehlt ihnen die natürliche gewachsene Struktur, das menschliche Maß und vor allem der Bezug zur lokalen Umgebung. Das Gesehene könnte genauso gut in London, Paris oder Dubai stehen. Dagegen wirkten zwei moderne Wohnhäuser aus den 1950er und -60er Jahren von Luigi Caccia Dominioni in der Nähe wohltuend schön und faszinierend im Detail: diese brillierten nicht durch große architektonische Gesten, sondern durch ihre fein durchdachte Raffinesse. Vor allem aber griff der Mailänder Architekt lokale Bautraditionen auf. „Warum hat man so etwas nicht weiterentwickelt?“ war eine Stimme zu vernehmen.

Mailand ist auch eine Stadt, die sich schon immer an Zukunftsthemen orientiert hat, und auch das Thema der Expo 2015 ist eines, das sich mit der Zukunft beschäftigt. Anstatt mit technischen Leistungsschauen zu glänzen, wollte diese Expo zeigen, wie unser Planet die Menschen in Zukunft noch ernähren kann. Im Zentrum standen Ökologie und Nachhaltigkeit. Der deutsche Pavillon sollte ein „Feld der Ideen“ sein und spielte diese Metapher erschöpfend durch. Der Boden bestand aus verschiedenen einheimischen Holzsorten, die die Felderlandschaft Deutschlands symbolisierten und aus dem „Ideenkeimlinge“ zu Membrandächern mit kaum erkennbaren Solarzellen emporwuchsen. Im Innern war interaktive Beteiligung gefordert, denn jeder einzelne könne mit seinen Handlungen die Welt verändern. Doch angesichts der Besucherströme und der Materialverschwendung stellte sich so Mancher die Frage, inwieweit eine Veranstaltung wie die Expo überhaupt nachhaltig sein kann.

Balsam für die überreizte Seele und ein wohltuender Kontrast war dagegen die erst im Mai 2015 eröffnete Fondazione Prada – der eindeutige Höhepunkt der Reise, fanden Viele. Diese Stiftung wurde von Inhaberin Miuccia Prada gegründet. Auf dem Gelände einer ehemaligen Destillerie im Süden der Stadt finden Wechselausstellungen und Installationen, Film- und Theatervorführungen statt, denn die Stiftung versteht sich als Plattform für einen offenen Diskurs über Kunst und Kultur. Rem Koolhaas hat diesen Komplex in einen zeitgemäßen Kulturtempel verwandelt, indem er den Bestand umbaute und um neue Gebäude ergänzte. Die Aura des Ortes lebt von einer minimalistischen Eleganz und dem kargen Charme des ehemaligen Industriebaus, sodass das Ensemble wie aus der Pittura Metafisica entlehnt wirkt. Die unterschiedlichsten Formen und Materialien sind hier wie in einer Collage zusammengefügt: Stahl, Aluminium, Blattgold, Glas, Kunstoff, Holz, Beton und Travertin wurden hier verbaut. So besteht die Fassade des „Podiums“ aus Aluminiumschaum, die des Kinos im Innenhof ist verspiegelt und lässt sich so öffnen, dass sie den kompletten Innenraum freigibt und eine Open-Air Bühne schafft. Am auffallendsten ist das sogenannte „Haunted House“, der verwunschene Turm: dessen Fassade wurde komplett, mitsamt Profilen, Gesimsen und sogar den Fenstergittern, mit Blattgold überzogen. Der strahlende Turm brachte alle Gesichter zum Leuchten.

Nach einer Stippvisite in der hippen Zona Tortona und natürlich dem Dom ging es schließlich wieder auf den Heimweg. Durch die vielen visuellen Eindrücke war es, als hätte die Gruppe drei Tage nicht geschlafen – wie sollte sie das auch in einer Stadt, die selbst niemals schläft.