• Goseriede Hannover © Johannes Böttger
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urbane gestalt - Freiraum Verkehr

urbanegestalt | Köln

Johannes Böttger

In der Stadt gibt es nie genug Platz. Das ist der Normalfall: verschiedene Nutzer treten um einen Raum in Konkurrenz. Das ist kein Mangel, denn nur unter dieser Bedingung, dass der öffentliche Raum begehrt ist, entsteht Urbanität.

In diesem Umfeld möchten urbanegestalt Landschaftsarchitekten immer wieder arbeiten, um Orte zu prägen und ihre Begabungen herauszuarbeiten. Auf der Tagesordnung stehen Landschaftsarchitektur in der Stadt, Ideen zum Spannungsfeld Verkehr und Freiraum und Denkanstöße für urbane Räume der Zukunft.

Alles fließt

Urbaner Freiraum und Verkehr: ein Widerspruch? Johannes Böttger von urbane gestalt liefert Denkanstöße für die Stadt der Zukunft

von Gisela Graf, Freiburg | gisela graf communications

In den Städten wird um Platz gekämpft. Wer bekommt wie viel Raum und wie kommt man aneinander vorbei? Dass der Wettstreit um die Nutzung des Stadtraums wichtig ist und letztendlich unser positives Gefühl gegenüber Urbanität begründet, zeigte Johannes Böttger von urbane gestalt: Zum Auftakt der neuen Saison nach der Sommerpause lud das Architekturforum Freiburg e.V. den Landschaftsarchitekten aus Köln zu einem Werkbericht ein.

Es ist bekannt, dass seit den 1950er Jahren Autos die Planung der Städte dominieren. Dass der Verkehr nur auf breiten Straßen fließen kann, denkt man auch heute noch. Johannes Böttger demonstrierte in seinem Vortrag Wege, die auch zum Ziel führen: vielleicht ein bisschen langsamer, dafür aber schöner.

Zum Start stellte er eine hypothetische Studie vor, die er 2013 mit amerikanischen Studierenden durchführte. Die jungen Menschen aus Pennsylvania sollten am Beispiel einer breiten, viel befahrenen Magistrale, der Aachener Straße in Köln, folgendes Szenario durchspielen: Was wäre wenn sich das Verhältnis von 30% Fahrradfahrern und 70% Autos einfach umkehrt? Wie müsste dann der Stadtraum neu entworfen werden? Es entstand ein „shared space“ in der Mitte, die Autostraße mutierte zu einer Straßenlandschaft, in der die Autos zwar fahren konnten, aber nicht mehr die ihnen sonst zugestandene Priorität erhielten. Diese Studie stieß auf Befremdung. „Wildwest im Verkehr“ titelte eine lokale Zeitung.

Mit eigenen Projekten zeigte Böttger, dass es tatsächlich möglich ist, den Verkehr durch Gestaltung zu reduzieren, ohne dass es zu den gefürchteten Verstopfungen kommt, so etwa beim Projekt Goseriede/Klagesmarkt im Rahmen von Hannover 2020+. „Hannover hat sich in den 1950er Jahren ein Problem gebaut“, meinte er. Wie viele Städte wurde die im 2. Weltkrieg fast komplett zerstörte Stadt autogerecht wieder aufgebaut: ein Cityring umschnürte die Innenstadt und schloss so die vorher nahtlos anschließenden Quartiere ab, die frühere Vernetzung war so unterbrochen. Das Büro reduzierte nun an einer Stelle, an der ein großer Kreisel mit seinen Anschlussstraßen einen ehemaligen Viehmarkt, einen barocken Friedhof und eine Kapelle durchschnitt, auf eine schmale Straße mit T-Kreuzung. Auf der dadurch frei gewordenen Fläche befinden sich jetzt ein Wohnquartier und ein Fahrradboulevard, der auf einen offenen Platz mit grünen Flächen führt. Die verstreut liegenden Grabsteine des ehemaligen Friedhofs wurden zu einem Lapidarium zusammengefügt, die Kapelle wieder integriert, sodass jetzt auch der historische Bezug zum Ort wieder hergestellt ist. Auf diese Weise ist ein offener, kommunikationsfördernder Raum entstanden. Der Verkehr fließt entgegen aller Befürchtungen staufrei durch den verkleinerten Straßenraum.

Auch im geplanten Gewerbegebiet „Am Erdbeerfeld“ in Bielefeld sind die Dinge in Fluss gekommen – aber in einem ganz anderen Sinn, nämlich zurück in den Kreislauf. Im Rahmen eines von der EU geförderten Forschungsprojektes wendeten die Landschaftsarchitekten in einer Machbarkeitsstudie das „cradle to cradle“- Prinzip auf den Städtebau an. Dieses von dem Chemiker und Umweltwissenschaftler Michael Baumgart propagierte Konzept sieht vor, dass alle Produkte zu 100% zu neuen Produkten wieder verwertet werden sollen – anstatt von der Wiege bis zur Bahre, also vom Rohstoff in den Müll. Übertragen auf das Erdbeerfeld soll das heißen, dass es in keinem Fall als Brache enden darf – ein Schicksal, das schon viele Gewerbegebiete ereilt hat. In der Studie wirkt das Erdbeerfeld wie ein Park, in dem auf einzelnen, kleinen Parzellen Gewerbebauten stehen. Diese sind so offen konzipiert, dass sie auch ohne größeren Aufwand in Wohnungen umgestaltet werden können. Allerdings muss eine solche Planung gut vorbereitet und kommuniziert werden, Bauherren müssen überzeugt werden, die Idee muss sich in die Unternehmensphilosophie integrieren können, betonte Böttger. Dann sei die Machbarkeit kein Problem: In der Landschaftsarchitektur lässt sich dies gut bewerkstelligen, da viele Elemente wie das Wasser oder der Aushub trennbar und verwendbar sind.

In der anschließenden Diskussion plädierte Böttger für mehr Einflussnahme, Gestaltungsfreiheit und Verantwortung bei der Planung von öffentlichem Raum. Um solche Anliegen mit mehr Studien zu unterfüttern, seien die Akademien gefordert, meinte er auf die Frage, was denn nun den Tiefbauämtern entgegenzuhalten sei, wenn diese den Verkehrsfluss schützen wollen. Denn schließlich soll alles fließen: Autos durch die Stadt, Fußgänger, Radfahrer, Straßenbahnen und Autos aneinander vorbei, und Stoffe zurück in den Kreislauf. Eine Idealvorstellung, der das Büro urbane gestalt mit seiner Arbeit schon recht nahe kommt.

Johannes Böttger, urbane gestalt / Köln

Die Vernetzung von Räumen in der Stadt ist ein großes Anliegen von Johannes Böttger. Der Landschaftsarchitekt, der auch Lehraufträge in Hannover, Bonn und in Amerika wahrnimmt, hat das Büro urbane gestalt 2005 in Köln gegründet. Sechs Landschaftsarchitekten arbeiten inzwischen an den Standorten Köln und Hamburg. urbane gestalt hat für seine Projekte viele Auszeichnungen erhalten, in Freiburg gewann das Büro für das Projekt Gutleutmatten 2010 den 2. Preis.

urbanegestalt | Köln
www.urbanegestalt.de