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Atsipatari | build together – learn together

Atsipatari | build together – learn together

Walter Iwersen | Freiburg

Bachelor- und Master-Studiengänge bieten in der Regel nur wenig Spielraum für Experimente. Für 18 Architekturstudenten am Institut für öffentliche Bauten und Entwerfen der Universität Stuttgart bot das Wintersemester 2013/14 deshalb eine ganz besondere Herausforderung:
Zu entwerfen war eine Schule für die Kinder der Ashaninka-Gemeinde in Sondoveni, einem kleinen Dorf im peruanischen Regenwald. Doch nicht nur das. Der Entwurf sollte auch im Maßstab 1:1 umgesetzt werden.
„Atsipatari“ bedeutet in der Ashaninka-Sprache so viel wie: zusammen, gemeinsam. Unter diesem Motto bauten die Studenten tatsächlich ihre Schule, in nur 6 Wochen Bauzeit, zusammen mit den Dorfbewohnern und 16 gleichaltrigen Kommilitonen aus Lima. Extrem die Arbeitsbedingungen, ungewohnt das Klima - dennoch: im März 2014 wurde das Projekt fertiggestellt und feierlich eingeweiht. Walter Iwersen, freier Architekt in Freiburg, hat die Studierenden begleitet und mit angepackt. Zur Ausstellungseröffnung berichtet er vom Abenteuer Baustelle im Regenwald.

Hundert Jahre Einsamkeit in sechs Wochen

Mit einem Koffer voller Spreizdübel reiste der Freiburger Architekt Walter Iwersen im Januar 2014 mit einer Gruppe von Studenten nach Peru. Im Goethe Institut berichtete er über das Abenteuer, eine Schule im Regenwald zu bauen.

von Gisela Graf, Freiburg | gisela graf communications

Grund für die Reise war das Projekt Atsipatari, was in der Sprache der Asháninka-Indianer "gemeinsam" heißt. Mit der Mission „build together – learn together“ brachen sie auf, um für die kleine Gemeinde Sondoveni mitten im peruanischen Regenwald eine Schule zu bauen. Weil das Projekt kurzfristig zustande kam und kein Containerschiff es so schnell geschafft hätte, mussten die fünfzehn Architekturstudenten ihr Werkzeug im Fluggepäck mitnehmen und dafür ihre Garderobe einschränken. An der Universität Stuttgart hatten sie im Vorfeld unter der Leitung von Arno Lederer (Institut für öffentliche Bauten und Entwerfen) an einem Wettbewerb teilgenommen, die vier besten Entwürfe wurden zu einem finalen Konzept verarbeitet. Nun sollte, gemeinsam mit fünfzehn Studenten aus Lima und den Dorfbewohnern, eine 350 Quadratmeter große Schule für 200 Schüler entstehen. Das kleine Zentrum liegt auf einer Anhöhe, die Bewohner leben weit verstreut im Urwald. Die Gruppe ahnte noch nicht, welche Schwierigkeiten und Hindernisse auf sie warteten – inklusive Kampf mit Moskitos, Spinnen, Schlangen und viel Schlamm, denn der Termin fiel in die Regenzeit.

Infrastruktur und Logistik waren eine Herausforderung. Die Straße, die längst fertig gebaut sein sollte, brach auf halbem Weg ab. Das bedeutete eine Anfahrt von mindestens eineinhalb Stunden von der Unterkunft zum Einsatzort. Nicht selten blieb der Jeep samt Mannschaft und Ladung stecken oder versackte am Wegesrand oder gar in der Furt, die über Nacht zu einem reißenden Fluss angeschwollen war. Die ausgehobenen Fundamentgruben füllten sich im Nu mit Wasser. Die örtliche Werkstatt konnte das Holz, das für Wände und Dachstuhl benötigt wurde, nicht liefern. Sie war an einen Großbetrieb gebunden, der sie willkürlich versorgte. Auf solche Abhängigkeiten stieß die Gruppe oft. Viel Zeit wurde mit Warten verbracht, bis das Material geliefert werden konnte oder einer der vielen Wolkenbrüche vorüberzog. An dieser Stelle hörte sich der Bericht von Walter Iwersen an wie Hundert Jahre Einsamkeit – im Kollektiv und verkürzt auf sechs Wochen Bauzeit.
Für Vieles war Kreativität und Improvisationstalent gefragt. Es gab keinen Strom und auch kein Licht, Wasser wurde aus einem Regenwassertank entnommen. Telefonieren war nur an einer Stelle möglich, eine Bratpfanne diente als Schirm für einen besseren Empfang. Zu essen gab es fast nur Linsen und Reis.

Das im März 2014 fertig gestellte Schulgebäude setzt sich aus zwei verschobenen Gebäuderiegeln zusammen, die in der Mitte den Innenhof und Gemeinschaftsraum umschließen. Die Schule besitzt neben den sechs Klassenzimmern eine Bibliothek, eine Küche und einen Sanitärbereich mit Komposttoiletten und Duschen. Die Konstruktion besteht aus einer einfachen Holzrahmenbauweise, die 36 Wandelemente wurden in Handarbeit vor Ort gefertigt und auf Punktfundamenten aufgerichtet. Bodenbalken und Zugbänder verbinden die Teile. Die Holzverkleidung reicht bis etwa Kopfhöhe, darüber sorgen schmale Streifen aus Baumrinde für Oberlicht und Belüftung. Manche Wände aus Bambusrohren lassen sich komplett öffnen. Der einfache Dachstuhl wurde mit Palmblättern bedeckt. Obwohl den Bewohnern das schnell rostende Blechdach fortschrittlicher erschien, erwiesen sich die schnell nachwachsenden Palmblätter als sinnvoll: ein Palmdach hält 7-10 Jahre und sorgt für ausreichende Luftzirkulation. Wenn starker Regen auf das Dach prasselt, ist es im Klassenzimmer nicht so laut. Für die Palmwedel sorgten die Familien, die Männer aus dem Dorf zimmerten und deckten den Dachstuhl so eingespielt, flink und geschickt, wie es die Europäer alleine niemals gekonnt hätten: Ein schönes Beispiel von interkultureller Zusammenarbeit!

Inzwischen haben die Kinder ihre Schule in Besitz genommen und lernen fleißig Rechnen und Schreiben. Die Studierenden lernten sicher etwas fürs Leben. Die Erfahrung von Teamarbeit und Zusammenhalt trotz der extremen Belastungsprobe, die hohe Motivation und die Bereitschaft, bis zum Schluss Verantwortung zu übernehmen, sind Dinge, die an der Uni kaum gelehrt werden.

Atsipatari war ein gemeinsames Projekt der Universität Stuttgart, Institut für öffentliche Bauten und Enwerfen unter der Leitung von Arno Lederer, der peruanischen Studentengruppe „construyeldentidad“, der Hilfsorganisation Creciendo und den Bewohnern des Dorfes Sondoveni. Ziel dieses und anderer Hilfsprojekte ist, die Landbevölkerung mithilfe von Bildung und Wissen zu fördern, damit sie sich den Regenwald als Lebensraum erhalten kann, ohne in die Städte abzuwandern. Walter Iwersen leitete das Projekt vor Ort, das von Ende Januar bis Mitte März 2014 durchgeführt wurde. Die Ausstellung über das Projekt ist die erste Kooperation des Architekturforums Freiburg mit dem Goethe Institut.